SEEING AND BELIEVING
eine reflexion über die medialität der photographie
i(p+r)/n Conference # 2 : CHANGING FACES / ’shifts‘ 06
University of Jyväskylä, Finland | Oktober 2006 I plenum talk
wie photographiere ich menschen / wie kommuniziere ich mein interesse / wie bewältige ich die durch meine anwesenheit verursachte veränderung der ursprünglichen situation / wie konstruiere ich photos von menschen / was zeigt eine photographie eines menschen / wie interpretiere – lese – ich bilder / …
Sowohl die Produktion als auch die Rezeption von Photographien sind komplexe Prozesse. Im Bild wird eine subjektive Wahrnehmung der äußeren Realität zu einer persönlichen Botschaft formuliert. Diese Bildaussage wird bei der Betrachtung individuell interpretiert. Im Bewußtsein dieses Spannungsfeldes verstehe ich Photographie als ein Medium zur Reflexion der Wirklichkeit. Darüber hinaus beeinflußt ein unvermeidliches und komplexes Geflecht von Faktoren wie z.B. persönliche, gesellschaftliche, ideologische und ökonomische, sowohl die Konstruktion als auch die Interpretation eines Bildes.
Intention
Seit den frühen 80er Jahren entwickle ich meine künstlerisch dokumentarische Photographie im Spannungsfeld von Auftragsarbeiten und freien Produktionen im Medien – und Kunstkontext. Schwerpunktmäßig befasse ich mich mit der Darstellung der Menschen in ihren Beziehungen zueinander und zu ihrer Umwelt. Meine Intention ist die visuelle Übertragung individueller Lebensimpulse. Insbesondere die Suche des Menschen nach Identität und deren Ausdruck ist immanenter Bestandteil meines Werkes. In Auseinandersetzung mit meiner eigenen Lebenserfahrung bewegen mich Fragen nach der Bedeutung von Identität. Danach, wie sie gelebt und ausgedrückt wird. Ich erforsche die Schnittstelle, an der sich der Einzelne mit seiner ihm eigenen Persönlichkeit, in seiner Umwelt darstellt. Mich als gesellschaftliches Wesen begreifend, möchte ich meine Eindrücke, so wie ich sie erfahre, mit meinen Bildern zur Diskussion stellen.
Bildverständnis
Ich verstehe Photographie nicht als Medium zur Darstellung einer objektiven Wahrheit. Schon die Motivauswahl und die Bildgestaltung sind Ergebnis einer subjektiven Entscheidung. Von daher arbeitet Photographie immer mit den Möglichkeiten der Inszenierung. Die Verknüpfung von subjektiver Bildgestaltung und der auf dem Bild erkennbaren Wirklichkeit, läßt den Betrachter sehr leicht die vermittelnde Funktion von Photographie vergessen. Er glaubt, mit Hilfe des Bildes die Situation selbst zu sehen. Dabei handelt es sich jedoch bei einer Photographie um eine künstlerische Dramatisierung.
Arbeitsweise
Am Prozeß des Photographierens fasziniert mich die Möglichkeit, erlebte Momente als Bild zu fixieren und eine Essenz aus dem Geschehen herausarbeiten zu können. Diese verschiedenen Realitätsfragmente setze ich in Beziehung zueinander und komponiere so meine Bildserien. Wenn ich photographiere, beobachte ich die Menschen sehr genau. Ich wähle die Momente aus, von denen ich glaube, daß sie die Dargestellten in ihrer Lebenssituation glaubürdig portraitieren. Doch welche Bilder ich aus dem Geschehen herausgreife, und welche Aussage ich durch die Kombination meiner Bilder formuliere, bleibt meine subjektive Entscheidung. Den Dargestellten gegenüber empfinde ich eine Verantwortung und wäge daher sehr genau ab, in welchen Situationen ich photographiere, und welche Bilder ich öffentlich zeige.
Mittels der Abbildungsfähigkeit der Photographie transformiere ich gesehene Blicke und erlebte Eindrücke in einzelne Photographien. Die Signifikanz der einzelnen Bilder ist das Resultat eines längeren Arbeitsprozesses, bei dem sich meine Wahrnehmung für die themenspezifische „Emotionalität“ sensibilisiert. In ihrer Addition ergeben diese Photographien ein thematisches Werk, das universelle menschliche Erfahrungen reflektiert.
Bildserie als Gesamtbild
Die Bildserie spielt in meiner Arbeit eine wesentliche Rolle. Sie vermittelt – in ihrer auf den speziellen Präsentationskontext abgestimmten Komposition – das intendierte Gesamtbild. Die Aussage setzt sich aus vielen, genau aufeinander abgestimmten Einzelbildelementen zusammen und bringt als Sequenz die inhaltliche Vielschichtigkeit der jeweiligen Thematik zum Ausdruck.
Projekte
Meine Themenfindung stellt eine Reflexion meiner eigenen Geschichte dar. Schwerpunktmäßig habe ich mich mit den Projekten Deutsche Volksfeste, Colossal Youth, Wie in einen Spiegel schauen und The Good Earth beschäftigt.
Deutsche Volksfeste habe ich von 1985 – 1991 in verschiedenen Regionen Westdeutschlands photographiert. Mein erstes Interesse war zu zeigen, wie Kinder von ihren Eltern geprägt werden, wenn diese ihnen vorschreiben, wie sie sich in Gesellschaft mit Erwachsenen zu benehmen haben. In Erinnerung an meine eigene Kindheit sah ich Kinder in Situationen, in die ich mich emotional hineinversetzen konnte. Ich bin mir des Konfliktes zwischen meinem photographischen Interesse und meiner Verantwortung den Dargestellten gegenüber bewußt und wäge daher sehr genau ab, in welchen Situationen ich photographiere, und welche Bilder ich öffentlich zeige.
In Auseinandersetzung mit meiner eigenen Jugend ist der Zyklus Colossal Youth in den Jahren 1988 – 1990 in Essen entstanden. Das Lebensgefühl der Menschen, die ich bei dieser Arbeit photographierte, erinnerte mich an mein eigenes Gefühl als Jugendlicher, in der Gesellschaft keine eigene Zukunftsperspektive zu sehen. Im Laufe der Entwicklung dieser Arbeit wurde mir jedoch meine interpretierende Position als Photograph sehr bewußt. Das Geschehen, welches ich bei Colossal Youth miterlebte, war nicht mehr mit dem meiner eigenen Jugend vergleichbar. Ich spürte auch, daß ich ihren Lebensstil mit den Augen eines Erwachsenen betrachtete. Es lagen mittlerweile mehr als zehn Jahre dazwischen. Aus dieser Spannung zwischen Sympathie und Distanz entwickelte ich meine photographische Aussage.
Nach dieser intensiven Auseinandersetzung mit der Lebensweise anderer Menschen, wollte ich mich mit meiner eigenen Identität beschäftigen.
Wie in einen Spiegel schauen ist schwerpunktmäßig in den Jahren 1990 – 1997 in unserer Wohnung in Essen entstanden. Ich habe diese räumliche Beschränkung gewählt, um mich für die Eindrücke sensibilisieren zu können, von denen ich alltäglich umgeben bin. Der Wechsel von Licht und Schatten inspirierte meine Wahrnehmung vertrauter Lebensräume. Das Wachsen der Blumen verdeutlichte mir die Entwicklung im Laufe der Zeit. Meine auslösende Intention war, meinen damaligen Gemütszustand zu reflektieren und zu verarbeiten. Ich begann, die sukzessive Veränderung meiner persönlichen Befindlichkeit zu thematisieren. Ich wollte Selbstportraits anfertigen, die den Eindruck vermitteln, als ob ich in einen Spiegel schauen würde, und dadurch einen mir alltäglich vertrauten Anblick fixieren.
The Good Earth 1998 – 2006 thematisiert die Wachstumsprozesse der Natur. Ich zeige wie die landwirtschaftliche Einflußnahme des Menschen im Zusammenwirken mit den Naturkräften Kulturlandschaft formt. Die Photographien spiegeln Blicke, die das Wachsen aber auch das Vergehen der Pflanzen und Tiere zum Ausdruck bringen. Dem Rhythmus der Jahreszeiten folgend visualisiere ich einen organischen Lebens – und Arbeitsprozeß und vermittle eine ermutigende Auseinandersetzung mit dem Alter.
Fazit und Ausblick
Meine Erfahrungen mit dem photographischen Darstellungsprozeß lassen mich das Photographieren mit der Inszenierung eines Theaterstückes vergleichen. Bei einer Theaterinszenierung werden die menschlichen Charaktere von Schauspielern dargestellt. In der Photographie nimmt das Bild die Position eines Schauspielers ein. Die Faszination bei der Betrachtung von Photographien resultiert aus ihrer inhaltlichen Mehrdeutigkeit. Das photographisch fixierte Bild wird von den Betrachtern individuell interpretiert.
An der Photographie fasziniert mich die Möglichkeit, die Kamera wie eine Lupe zu verwenden und mit ihr das Leben zu betrachten. Es inspiriert mich, meiner Intuition zu folgen und durch den präzisen Einsatz der visuellen Mittel Bilder zu formulieren, die meine persönliche Sichtweise ausdrücken.
Oktober 2006