Stadt Land Mensch
Eine photographische Annäherung an die StädteRegion Aachen
Preview-lecture Expertenrunde
dokumentiert von Jutta Geese, AZ/AN-Redaktion StädteRegion
Mitte Januar 2009 – der Auswahlprozess für die Ausstellung war noch in vollem Gange – diskutierte Andreas Weinand auf Einladung von Prof. Bernd Mathieu, Chefredakteur der Aachener Zeitung und der Aachener Nachrichten, mit Experten über die Wirkung seiner Bilder. Im Mittelpunkt der mehr als zweistündigen Diskussion stand die Frage, ob die Bilder von Andreas Weinand so etwas wie die Identität der Städteregion Aachen widerspiegeln, widerspiegeln können. Hierüber entwickelte sich eine lebhafte Diskussion, die hier nur in Auszügen dokumentiert werden kann, zwischen Andreas Weinand, dem Kunsthistoriker Prof. Dr. Georg Bussmann, Silvia Böhmer, Kuratorin des Suermondt-Ludwig-Museums Aachen, Kreisdirektor Helmut Etschenberg und Dr. Nina Mika-Helfmeier, Kulturbeauftragte des Kreises Aachen. Moderiert wurde die Expertenrunde von Udo Kals von der AZ/AN-Redaktion Städteregion.
Kals: Ist eine Fotoserie wie diese denn in der Lage, Identität zu erfassen bzw. sie neu zu schaffen?
Böhmer: Das ist ganz, ganz schwierig, weil jeder von uns hier am Tisch, davon bin ich überzeugt, etwas anderes darunter versteht, was ja auch immer von der eigenen Erfahrung abhängt. Aber ein Außenstehender wie Herr Weinand kann das sachlicher sehen und uns auch die Augen öffnen, uns etwas zeigen, das wir mit Sicherheit übersehen hätten. (…)
Etschenberg: Ich war zuerst davon ausgegangen, da kommt was, was ich kenne: der Aachener Dom, Pferde beim CHIO, der Rursee, Printen. Aber dann sehe ich Fotos von Pferden auf der Wiese, Kühen, Holz, ein Fenster mit einem ausgestopften Fasan, das habe ich gar nicht als regionale Identität gesehen. (…) Ich habe mich erst ein Stück überwinden müssen, mich auf den Blick eines Dritten einzulassen. Aber dadurch ist bei mir ein Nachdenken ausgelöst worden, nach dem Motto „Ist das, was du selbst unter regionaler Identität verstehst, auch das, was man allgemein darunter versteht?“ Jeder Betrachter der Fotos wird das anders sehen. Aber das kann dazu führen, dass man trotzdem Gemeinsamkeiten hinein interpretieren kann. (…)
Bussmann: Entscheidend scheint mir, diese Bilder mit der eigenen Erfahrung abzugleichen. Bilder lösen Gefühle aus. Wenn es um Identität geht, muss der Fotograf diese Gefühle treffen. (…) Andreas Weinand beschreibt uns hier in dieser Runde die Situationen, in denen seine Bilder von Menschen entstanden sind. Aber seine Menschenfotos brauche ich nicht, ich nehme sie flüchtig wahr, aus der Distanz, so wie in der Realität auch. Landschaften erzeugen bei mir mehr Gefühle als die Gesichter. Eine Landschaft gehört uns allen. Mit den Menschen, die mich von den Bildern angucken, bemächtigt sich Andreas Weinand meiner, aber dem möchte ich mich entziehen. (…)
Mika-Helfmeier: Der Auftrag lautete ja nicht „Finde unsere Identität“, sondern „Suche etwas Gemeinsames“, was unsere Region verbindet und vielleicht von anderen Regionen, z.B. vom Ruhrgebiet unterscheidet. Ich gehe davon aus, dass die Auseinandersetzung mit dem, was ein „fremder“ Fotograf in der Region sieht, unseren Blick auf die Region schärfen kann. Andreas Weinand fotografierte Menschen, die ihm einfach begegnet sind: Seine Arbeiten zeigen, was uns alltäglich umgibt, die Alltagsbanalität in der Städteregion.(…) Meine Erwartungen an den Fotografen sind erfüllt, indem er mit seinen Arbeiten eine Grundlage zum Nachdenken und zur Auseinandersetzung mit dem Begriff Identität geschaffen hat. (…)
Etschenberg: Hätten Sie anders fotografiert, Herr Weinand, wenn der Auftrag „Finde die Identität der StädteRegion“ geheißen hätte?
Weinand: Nein, ich muss als Fotograf ja immer eine Distanz überwinden, einen Zugang finden, ein Ziel formulieren, und das bedeutet letztlich eine Begegnung von mir mit dem Draußen. (…) Die Fotos sind meine Statements zu dieser Region, es geht um Dialog und gegenseitiges Kennenlernen. (…) Ich bin bei meiner Reise auf Menschen getroffen, auf Charaktere, die mir bekannt vorkommen, beispielsweise der alte Herr, den ich in der Abendsonne fotografiert habe, und diese Menschen vermitteln auch ein Gefühl von Heimat, von Identität.
Bussmann: Es ist ja auch eher ein Wunsch, Identität zu finden. Es ist eine Illusion, eine Fiktion, aber eine notwendige. Wir haben es bei seinen Bildern mit Behauptungen zu tun. Wir sehen die Region durch seine Augen, denn er hat entschieden: Das fotografiere ich und das stelle ich aus. (…)
Etschenberg: Bei einem Foto, das die beiden Männer am Wasserbecken mit den römischen Säulen zeigt, habe ich mich zuerst gefragt, wo das wohl aufgenommen worden ist.
Bussmann: Ich habe da einen anderen Zugang: Ich bin Mensch, das sind Menschen. Ich frage nicht, wo ist das. Aber über beides kommt man ins Nachdenken.
Mika-Helfmeier: Genau das wollten wir erzeugen. Wir werden die Fotos auch so präsentieren, dass eine Zuordnung zu einer Stadt eigentlich nicht nötig ist. Das heißt, der Betrachter lässt sich erstmal auf eine Kommunikation mit dem Bild ein.
Bussmann: (…) Wenn ich die Fotos anschaue, gibt es sozusagen eine Dreiheit: Der Fotograf, der das Bild gemacht und ausgesucht hat, es also für wichtig hält, das Bild und mich. Ich stehe davor, bin vielleicht irritiert, aber ich lasse mich darauf ein. Das passiert alles stumm. Insofern sage ich auch: Das ist gelungen.
KuK Monschau 2009 / ISBN 978-3-00-027164-9 / bilder